Interview mit Kai Voss
Herr Voss, in diesen Tagen erscheint ihr Buch Das NSU-Phantom im Grazer Ares Verlag. Sie waren am COMPACT-Spezial zum NSU maßgeblich mit beteiligt. Warum ist jetzt noch ein Buch nötig?
Bereits damals, zu Beginn des Jahres 2013, hatte das Material einen Umfang, der eine Veröffentlichung als Buch eigentlich notwendig machte. Mir war wichtig, dass ich alles Zusammengetragene mit Quellen belegen kann, um so das Ergebnis meiner Recherchen, nämlich die staatlichen Verstrickungen in den NSU-Komplex, abzusichern.
Bei derlei Publikationen war ich allerdings noch unerfahren. Mein Problem war Folgendes: Den links stehenden Verlagen war der Stoff zu brisant, da sich die politische Linke bereits mit strategischen Hintergedanken darauf einschoss, dass die Rolle des Verfassungsschutzes (von dem sie beobachtet wird) infrage gestellt werden muss, die Dönermorde aber ein Beweis für die Existenz terroristischer «Faschisten» sein müssen. Die rechtsstehenden Verlage hätten sich sicherlich meinen Ausführungen angeschlossen, hatten aber vielfach zu wenig Leserschaft, als dass ich auf eine hohe Verbreitung hätte hoffen dürfen. Ich wendete mich deshalb an den Chefredakteur des Magazins COMPACT, Jürgen Elsässer, der mir vorschlug, ein kostengünstiges Sonderheft zu machen, um möglichst viele Menschen mit den damals nahezu unbekannten, von mir recherchierten Ungereimtheiten, erreichen zu können. Selbstverständlich konnten wir uns bei einem derart komplexen Thema nur auf das Notwendigste beschränken. Das Buch versteht sich vor diesem Hintergrund zum einen als eine Art kritische Einführung für Interessierte, soll aber zum anderen auch motivierend auf all jene wirken, die sich noch tiefer mit der Materie auseinandersetzen wollen.
Nun veröffentlichen Sie aber doch über einen Verlag, der als konservativ gilt!?
Im Bezug auf das kritische Hinterfragen des NSU-Phantoms ist seitdem eine Änderung eingetreten. Zu Beginn wurden jene Stimmen als «rechts» oder «konservativ» verschrien, die noch weiter dachten als «der Verfassungsschutz muss rassistisch sein». Das hat sich geändert! Viele Menschen, viele Online-Aktivisten oder Journalisten sind schon an jenem Punkt angelangt, wo sie selbst voller Inbrunst als «Rechte» verschrien werden, weil sie die richtigen Fragen stellten. Auch COMPACT wurde dahingehend gescholten. Wir haben eine anfänglich breite Leserschicht aufgebaut, das gilt es auszubauen, ganz gleich von welcher Richtung aus. Man kann nur hoffen, dass die Linke sich besinnt und dieses mediale Geschenk angeblicher rechtsextremer Terrorgruppen, das sich als Trojanisches Pferd entpuppen könnte, zurückweist und weiter Licht ins Dunkel um den NSU bringt.
Also ist das Buch das ausführliche COMPACT-Spezial, aber mit Quellenangabe?
Nein, so verkürzt würde ich es nicht sagen. Natürlich wurde das Buch auf den aktuellen Stand gebracht, was sich sehr schwer gestaltete, da es nahezu täglich neue Wendungen oder neue Informationen gibt. Und natürlich konnten nicht alle Quellen benannt werden, weil einiges auf bisher nicht öffentlich zugänglichen Dokumenten beruht. Weiterhin sind in diesem Zeitraum etliche Bücher publiziert worden, die es zu erwähnen, zu berichtigen oder im Falle einer richtigen Stoßrichtung auch zu bestätigen galt.
Es gibt verschiedene Arten, an das Thema heranzugehen. Und hierbei muss man unterscheiden, ob man ein Magazin herausbringt, bei dem man sich nur auf das Wesentliche beschränken kann, oder ein Buch, bei dem man ins Detail gehen kann. Mein Ziel war, öffentlich zugängliche Informationen und eigenes Recherchematerial so aufzubereiten, dass man am Ende ein stimmiges Bild gewinnt, warum nicht möglich sein kann, was uns bisher als «Wahrheit» verkauft wird.
Was unterscheidet Ihr Buch im Vergleich zu den anderen Büchern, wie zum Beispiel dem zuletzt publizierten Buch Heimatschutz der Journalisten Stefan Aust und Dirk Laabs?
Aust und Laabs haben einen umfänglichen Wälzer herausgebracht und sicherlich versucht, die mühsam gesammelten Informationen in ihr Schema zu bringen – das Problem ist, dass dieses Schema meines Erachtens nicht die Wahrheit widerspiegelt. Wer Austs erste Artikel zu dem Thema gelesen hat und weiß, mit welchen Märchen vom kritischen Journalisten er bei möglichen Zuträgern hausieren ging, muss über das Ergebnis enttäuscht sein: es deckt sich mit der staatlicherseits kolportierten Geschichte. Das ist im NSU-Phantom natürlich nicht der Fall.
Was erwartet den Leser denn Neues?
Die bereits damals veröffentlichten Theorien über den Ablauf der verschiedenen Stationen rund um die NSU-Geschichte wurden weiter untermauert und um zahlreiche Details ergänzt, die das Ganze abrunden – erwähnt sei zum Beispiel der mögliche Zusammenhang zwischen der Edathy-Affäre und dem NSU! Außerdem haben wir ein umfangreiches Kapitel über die bisher entlarvten Spitzel angelegt und die Parallelen zu Gladio ausführlich beleuchtet.
Ein Buch muss allerdings auch juristisch unangreifbar sein, denn hier stehen Personen für das Geschriebene ein und müssen sich notfalls vor einem Gericht verantworten, dessen Beamte von jenem Staat bezahlt werden, der in das Geschehen um den NSU in erheblichem Maße verstrickt ist. Gerade deswegen mussten wir auf die Nennung einiger Klarnamen verzichten und konnten nicht jeden Aktenauszug zitieren, der uns in die Hände fiel. Bei einem aus dem Ausland geführten Blog ist dies natürlich etwas anderes. Aber Sie können mir glauben, die Stoßrichtung ist die Gleiche: Der Kläger gehört auf die Anklagebank!
Sie sprechen auf den Blog von Fatalist an?
Genau! Hier entwickelt sich etwas, dass Parallelen zur Whistleblower-Aktion des Edward Snowden aufweist, doch in seiner nationalen Dimension noch weitaus beträchtlicher wirken muss. Die Akten im NSU-Prozess, die man uns bisher vorenthielt, werden nun systematisch vom Ausland aus aufgearbeitet und veröffentlicht – mit bahnbrechenden Erkenntnissen.
Aber hier sei noch einmal auf den Unterschied zwischen einem Buch und einem Blog hingewiesen: Wenn sich die Dokumente als echt erweisen sollten oder von anderen Stellen aufgegriffen werden, so erlangt eine Information eine Verifizierbarkeit, die sie mit geringerem Risiko auch in einem Buch verwendbar macht – womöglich in weiteren Auflagen.
Wenn man aus fernen Landen Adressen in einem Blog veröffentlicht, so macht einen das kaum angreifbar.
Verwendet man diese als deutscher Autor, macht man sich schnell strafbar. Die gezwungenermaßen unterschiedlichen Wege führen aber zum gleichen Ziel. Wir müssen nun alles dransetzen, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen, bevor der Prozess während irgendeiner Fußballeuphorie klammheimlich zu einem Ende gebracht werden kann. Die staatlichen Strippenzieher müssen in das Licht der Öffentlichkeit und auf die Anklagebank gezerrt werden. Hier sind wir alle gefragt: Journalisten, Autoren, Geheimnisträger, ehrliche Beamte und die Leserschaft.
Ist es eigentlich ein Zufall, dass Sie nun im selben Verlag publizieren, wie der während des Untertauchens der drei Jenaer zuständige Thüringer Verfassungsschutzchef?
Das mag eine Ironie des Schicksals sein, widerspricht sich aber nur auf den ersten Blick. Helmut Roewer, von der Presse als Sündenbock benutzt, schildert die Dinge aus seiner Sicht, schildert das Versagen der Polizei beim Untertauchen des Trios und beschreibt – sich aus der Schusslinie nehmend – die mehr oder weniger korrupten Zustände im Behörden- und Parteienfilz.
Wie wird es rund um den NSU-Prozess weitergehen?
Das liegt an uns. Wenn es uns nicht gelingt, die großen Medien zu einer kritischeren Einstellung zu zwingen, dann werden in diesem Prozess aufgrund von Indizien Urteile gefällt werden, ohne dass wir der Wahrheit nur einen Schritt näher kommen. So schlimm wie das für die Betroffenen ist, es wird uns allen auf die Füße fallen. Denn wenn ein Rechtsstaat mit Methoden, die, zugespitzt gesagt, an eine Bananenrepublik erinnern, ungeschoren davonkommt, dann wird er jene Praktiken zur Routine werden lassen – und nicht nur gegenüber politisch missfälligen Gruppen, sondern gegenüber dem ganzen Volk.
Was können wir alle dagegen tun?
Denken Sie mit und lassen Sie sich nicht von weisungsgebundenen Medien bevormunden. Bedenken Sie: Jeder gelöschte Kommentar unter einem Online-Artikel, jeder nicht gedruckte Leserbrief an eine Zeitungsredaktion, wird von irgendwem gelesen, der sich seine Gedanken machen muss und der bestenfalls den Stimmungsumschwung mitbekommt. Wir müssen den Druck auf die sogenannte vierte Gewalt ausüben, denn diese zwingt unsere Behörden und Politiker zum Handeln.
Wichtig ist außerdem, noch mehr Dokumente und Sachverhalte in die Öffentlichkeit zu tragen – Menschen mit Zugang zu Informationen müssen uns unterstützen. Welche Beamte sind im Zuge der NSU-Ermittlungen verstorben? Wer kann weitere Angaben zu Bedrohungen durch Behörden machen? Wer hat Beobachtungen an den Tatorten oder den angeblichen Unterschlüpfen gemacht? Und wer ist ein potenzieller Multiplikator, um unsere Erkenntnisse nach außen zu tragen?
Melden Sie sich bei COMPACT, beim Ares Verlag oder beim oben genannten Blog. Wenn staatliche Behörden nicht ermitteln, müssen wir es eben tun …
Vielen Dank für das Gespräch.
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Ich widerrufe: KAUFEN !!!