RUSS IN DEN AUGEN DER REDAKTEURE, TEIL 5: Thüringer Allgemeine, Hamburger Abendblatt, Stuttgarter Zeitung, Sächsische Zeitung, DIE ZEIT

Dossier zur Nachrichtenehrlichkeit der deutschen Presse 2011 bis 2014

von

Dr. Andreas Müller

Email: buerger@hintermbusch.de

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Einleitung, Methodik, Untersuchungsgegenstand sowie

Süddeutsche Zeitung: siehe Teil 1

SPIEGEL , FAZ und TAZ siehe Teil 2

WELT und BILD siehe Teil 3

WAZ, Tagesspiegel, Berliner Zeitung Teil 4

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Thüringer Allgemeine Zeitung

Unter der URL

http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/BKA-Mundlos-erschoss-Boehnhardt-und-legte-dann-Feuer-750273217

findet man den knappen Bericht der Thüringer Allgemeinen Zeitung zum Auftritt des BKA-Chefs im Innenausschuss des Bundestags am 21.11.2011:

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Die Urheberschaft der These zum Ablauf im Wohnmobil wird sogar in der Überschrift deutlich markiert. Ebenso verbindet die Zeitung das als Beleg verwendete Argument vom Ruß in der Lunge deutlich mit dem Namen Ziercke:

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Dass die Zeitung sich nicht scheut, Roß und Reiter beim Namen zu nennen, wenn es darum geht, dieselbe Institution der Irreführung zu bezichtigen, bewies sie schon am nächsten Tag im Zusammenhang mit einer anderen (und später dementierten) Behauptung von BKA-Chef Ziercke:

http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Wie-das-Bundeskriminalamt-die-Oeffentlichkeit-in-die-Irre-fuehrt-1466055955

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Diese Zeitung hat offensichtlich keinen unnötigen Respekt vor einer Behörde, die schon in vielen früheren Terror-Ermittlungen weder durch Kompetenz noch durch Wahrheitsliebe besonders aufgefallen ist. Eine wichtige Voraussetzung war also vorhanden, so dass man gespannt sein darf auf das, was sie zum Auffliegen der Rußlungen-Lüge im Gerichtssaal berichtete:

http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/NSU-Prozess-Mundlos-und-Boehnhardt-waren-sofort-tot-1249839686

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Die Überschrift und der Teaser beschränken sich auf die medizinischen Fakten. Aber unmittelbar nach einem Tatortfoto bekommt die Frage, die uns hier interessiert, eine eigene Unterüberschrift:

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Der sachlich und unspektakulär vorgetragene Inhalt hat es in sich und sei hier kurz in Kernsätzen zusammengefasst:

  • Es wurde in den Lungen beider Toten kein Ruß gefunden
  • Das ist als Hinweis zu werten, dass beide bereits vor Ausbruch des Brands tot waren
  • Schmauchspuren an den Händen der Toten wären ein Hinweis auf Schussabgaben, wurden vom Gerichtsmediziner aber nicht untersucht, weil es die Polizei schon gemacht habe
    (Ein entsprechendes Ergebnis wurde aber auch an diesem Prozesstag dem Gericht nicht bekanntgemacht und zählt zu den von Kritikern bemängelten Ermittlungslücken)
  • Der Gerichtsmediziner hat keine Aussagen gemacht, die einen Mord beider Toter durch einen Dritten ausschließen würden

Es lohnt sich den Bericht der Thüringer Allgemeinen (identisch in der Ostthüringer Zeitung aus derselben Verlagsgruppe) genau mit den Berichten anderer Zeitungen zu vergleichen: die Ausführlichkeit, der Detailreichtum, die Glaubwürdigkeit der Wiedergabe der Aussagen des Gerichtsmediziners und die Angemessenheit ihrer Bewertung liegen um Längen vor allen anderen Zeitungsberichten, die ich für diese Zusammenstellung gesichtet habe. Die vielfältigen Möglichkeiten anderer Journalisten diese Aussagen zu verschweigen, zu verfälschen oder zu verdrehen, lassen sich am vollständigsten in der Zusammenschau bewundern.

Auch der hier nicht mehr gezeigte Rest des Textes über die Erinnerungslücken der Polizisten vor Ort ist absolut lesenswert und aufschlussreich, wirft er doch ein ganz eigenes Licht auf die sonst so wenig kritisch berichteten Aussagen der Polizei in diesem Fall.

In einigen Sätzen (z.B. „… und [wären] vielleicht ein Hinweis auf die Selbstmordtheorie gewesen.“) ist erkennbar, dass der Redakteur der Thüringer Allgemeine eher zur Mordtheorie als zur Selbstmordtheorie neigt. Damit steht der Redakteur bei allen betrachteten Zeitungen allein auf weiter Flur. Liegt das daran, dass der Tatort im engen Einzugsbereich der Zeitung liegt und deshalb mehr Information die Redaktion direkt und ohne Umweg über Polizeiverlautbarungen erreicht haben?

Den BKA-Chef einen Lügner zu nennen, hat sich die Thüringer aber auch verkniffen.

Die Zeitungsgruppe Thüringen hat den Beweis erbracht, dass es noch Reste von handwerklich sauberem und glaubwürdigem Journalismus in Deutschland gibt, immerhin.

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Hamburger Abendblatt

Aus dem Innenausschuss des Bundestags am 21.11.2011 berichtet das Abendblatt unter URL

http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2101201/BKA-Chef-Kiesewetter-in-Beziehung-zu-NSU-Gruppe.html

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Das in der Überschrift genannte Thema steht in dem Artikel (und insgesamt in den Medien Ende November 2011) im Vordergrund, aber im Text fehlen die Vorgänge im Wohnmobil und die BKA-These vom Selbstmord nicht:

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Die wichtigen Fakten zur Selbstmordthese und ihrer Stützung mit dem Rußlungen-Argument sind korrekt wiedergegeben. Die Quelle BKA wird genannt, nicht aber namentlich der Chef Ziercke. Im zweiten Abschnitt sind dann Behauptungen und Realität sprachlich nicht mehr klar zu unterschieden.

Zum Auffliegen berichtet das Abendblatt unter

http://www.abendblatt.de/politik/article128276146/Eklat-um-Kapuzenpullover-im-NSU-Prozess.html

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Der Artikel im Abendblatt stammt vom selben Autor wie der in der Thüringer Allgemeinen und ist inhaltlich auch weitgehend identisch. Zwei wesentliche Unterschiede fallen aber doch ins Auge:

  • Die Hauptüberschrift stellt die Kleidung des Angeklagten E. in den Vordergrund, die sachlich betrachtet einfach nur ein Nebenaspekt ist. Wir haben bereits gesehen, dass auch andere Zeitungen diese Tagesnachricht zur Ablenkung von Wichtigerem einsetzten.
  • Es gibt keine Abschnittsüberschriften im Text, damit auch keine für die Tatsache, dass in beiden Lungen kein Ruß gefunden wurde.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Berichterstattung zwar im Detail gut ist, ihre Sichtbarkeit und Brisanz aber durch die Gestaltung deutlich entschärft wird. Hat hier die Chefredaktion eingegriffen? Wir können das nicht klären, aber die Gestaltung führt natürlich zum Punktabzug gegenüber der Thüringer Allgemeinen.

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Stuttgarter Zeitung

Einen Bericht der Stuttgarter Zeitung über die Sitzung des Innenausschusses des Bundestags mit Jörg Ziercke am 21.11.2011 konnte ich online nicht finden. Unter dieser URL:

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nsu-prozess-keine-hinweise-auf-unbekannten-dritten.f26cba20-f79c-4989-ae51-e28391b9c38a.html

findet sich aber die Nachricht zur Aussage des Gerichtsmediziners vor Gericht:

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Dafür dass es angeblich keine Hinweise auf einen unbekannten Dritten gibt, nimmt er in einigen Berichten einen erstaunlich prominenten Platz gleich in der Überschrift ein.

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Die Tatsache, dass keine Rußpartikel in den Lungen beider Leichen gefunden wurde, berichtet die Stuttgarter Zeitung korrekt. Die Kontextinformation, dass diese Behauptung zuvor wiederholt von Behördenvertretern, BKA-Chef Ziercke und anderen, als Bestätigung der Selbstmordthese genutzt worden war, wird aber dem Leser nicht mitgegeben.

Auf diese Weise lässt es sich als Spekulation abtun, wenn nun das Fehlen dieser Rußpartikel Zweifel an der Selbstmord-These nährt. Aussagen von Zeugen, die eine dritte Person gesehen haben, waren im November 2011 in einigen Zeitungen noch zu finden, aber davon will die Stuttgarter Zeitung im Mai 2014 ebenso noch etwas wissen wie die große Mehrheit der Konkurrenzblätter.

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Sächsische Zeitung

Eine Berichterstattung der Sächsischen Zeitung zum 21.11.2011 konnte ich online nicht (mehr) finden. Unter der URL

http://www.sz-online.de/nachrichten/pulli-provokation-im-gerichtssaal-2844441.html

findet man jedoch den Bericht zu dem Prozesstag, an dem der Gerichtsmediziner die Rußlungen-Behauptung widerlegt hat. Er kommt groß mit einem Boulevard-Thema heraus, statt sich auf die für das Verfahren wesentlichen Fakten zu konzentrieren:

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Nach der groben Ablenkung in der Überschrift bemüht sich die Zeitung redlich, nichts Falsches zu behaupten, unterschlägt aber schlicht alles, was wir in dieser kleinen Untersuchung finden wollen. Stattdessen wiederholt sie die Version der Bundesanwaltschaft aus der Anklageschrift und berichtet ausschließlich die Zeugenaussagen der Polizisten, die wohl dazu passen wird.

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Die Zeit

In Zeit-Online findet sich keine Berichterstattung zum 21.11.2011, aber die Wochenzeitung betreibt einen Blog zum NSU-Prozess in München. Es handelt sich dabei um eine Art von Meta-Berichterstattung, also Berichterstattung über die Berichterstattung. Auf diesem Blog wurde auch das Medienecho zum Prozesstag 21.05.2014 besprochen:

http://blog.zeit.de/nsu-prozess-blog/2014/05/22/der-entkraeftete-selbstmord-mythos-das-medienlog-vom-donnerstag-22-mai-2014/

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Meta-Berichterstattung bietet die Chance, ganz verschiedene Presseberichte nebeneinander zu halten und dadurch mehr zu lernen als aus jedem einzelnen Pressebericht, ganz ähnlich wie in dieser Dokumentation auch. Wichtig ist dabei natürlich, mehrere Artikel auszuwählen, die zu einem wichtigen Ereignis nicht dieselbe Einschätzung haben. Was das wichtigste Thema des Prozesstages war, hat der Blogverantwortliche immerhin richtig gekannt. Indem er zu diesem Thema nur eine einzige Zeitung ausführlich zitiert, nämlich die taz, vergibt er aber manche Chance.

Dass er dann deren Einschätzung und den Kampfbegriff vom „Mythos“ inhaltlich auch noch in seine eigene Überschrift und den Vorspann übernimmt, obwohl genau diese Zeitung sich bei ihrer Berichterstattung am allerwenigsten mit Ruhm bekleckert hat, ist eigentlich unglaublich.

Aber so ist es, und nach dem Machwerk der taz folgt nur noch das Ablenkungsthema Kapuzenpulli, und das mit zwei Quellen. Wer würde der ZEIT dafür eine bessere Wertung geben wollen als der taz selbst? Im Gegenteil, der Text unterbietet sogar die Leistung der taz:

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Mit den beiden Sätzen „Warum seien in Böhnhardts und Mundlos’ Lunge keine Rußpartikel gefunden worden, fragten Skeptiker. Hatte jemand anderes sie erschossen und den Brand im Wohnwagen gelegt?“ stellte die taz immerhin indirekt einen Zusammenhang zwischen dem Ruß in der Lunge und dem Ablauf im Wohnmobil her. Diese Minimaldarstellung hat der Zeit-Redakteur auch noch weggestrichen und stattdessen die vorsichtigere Variante zur Aussage des Gerichtsmediziners aus der taz zugespitzt.

Damit hat er sich die rote Qualitäts-Laterne redlich verdient.

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Ende Teil 5

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