Am 1. November 2011 kennt Beate Zschäpe ihre Zukunft und muss weinen. Sie hat Heike Kuhn besucht, die Freundin aus der Polenzstraße, drei Tage bevor das Zwickauer NSU-Haus in die Luft fliegt. Zum Abschied gibt es kein Küsschen, wie sonst, sondern Tränen. Beate drückt die Ältere ganz fest, ehe sie ins Taxi steigt und ohne ein Wort aus dem Leben Kuhns verschwindet.
Zwei Jahre später führt der NSU-Prozess beide Frauen erneut zusammen. Kuhn ist Zeugin. Sie wird von der Nebenklage mit Fragen in die Enge getrieben, die sie demütigen sollen. Zschäpe starrt von der Anklagebank aus ins Leere.
Diesmal weint Heike Kuhn: der Vater ist gestorben, die Tochter, die eine Schule für geistig Behinderte besucht, wurde missbraucht, Kuhn will nach Hause – zur Geburtstagsfeier ihres Kindes. Aber Götzl, Weingarten und die Opferanwälte kümmert weder das Elend der ostdeutschen Alleinerziehenden, noch die letzte Begegnung mit der Nazibraut. Denn was Heike Kuhn über ihre Freundin sagt, passt nicht ins Bild der NSU-Mittäterin, das die Öffentlichkeit kennt.2)
Bundesanwaltschaft und Nebenklage haben die Vernehmungsprotokolle der Polizei. Sie wissen, dass Zschäpe den Sohn Kuhns ermahnte, sich von rechten Aktivitäten fernzuhalten, dass sie mit Heike Kuhn beim Murat Pizza aß, dass sie der afghanischen Familie im Haus beim Umzug half, dass man sie und die Uwes für „verkappte Grüne“ hielt. Vox populi und darum unerwünscht.3)
Weiterlesen:
Und eben deshalb redet niemand über Beates Tränen, die einen aus Sorge um ihren Popanz, die anderen der Selbstverständlichkeit wegen: Abschiedstränen bedeuten Abschied und Trennungszeit. Wer sich emotional verabschiedet, erwartet einen Abschied für längere Zeit und einschneidende Veränderung. Das geht nicht ohne Vorwissen. Vorwissen zu haben, heißt hier aber zwingend, dass die Ereignisse des 4. November 2011 in Eisenach-Stregda und Zwickau-Weißenborn einem Plan folgten, der weit über diesen Tag hinausreichte und dass Beate Zschäpe Teil dieses Plans war und einen sie betreffenden Teil desselben kannte.
„Nie und nimmer zugetraut“
Reicht das als Beweis für Vorkenntnisse des NSU-Showdowns? Nein, Beate hatte einen schlechten Tag, wendet der Skeptiker ein. Und zu recht will er mehr, als subjektive Stimmungsbilder, nämlich überprüfbare Hinweise und Fakten, die eine staatliche NSU-Planung belegen.
Diese Hinweise gibt es am 4. November reichlich in Eisenach und Zwickau. Sie sind ohne Vorkenntnisse dessen, was verschiedenste Akteure vorfinden und wie sie reagieren würden, im Einzelfall nur unter Verrenkungen, in ihrer Gesamtheit gar nicht zu erklären.
Das beginnt schon mit dem erwarteten zweiten Bankraub nach dem Arnstädter Sparkassenüberfall am 7. September 2011, der eben kein Misserfolg war und die Mutmaßung über ein Folgeereignis nicht schlüssig nach sich zieht. Die Polizeidirektion Gotha hält deshalb Einsatzkräfte der Polizeidirektion Gotha in Bereitschaft, der Folgeüberfall wird in einer zweiten Wochenhälfte erwartet. Tatsächlich überfallen zwei Männer am 4. November die Sparkasse in Eisenach, die zufälligerweise zum Bereich der Polizeidirektion Gotha gehört.
Als zwei Polizisten das Fluchtfahrzeug in Eisenach-Stregda entdecken, in dem die Bankräuber trotz aufgehobener Ringfahndung ausharren, werden sie Zeuge der „NSU-Selbstenttarnung“. Nach Schussgeräuschen gehen die Beamten in Deckung, es gibt eine starke Rauchentwicklung, das Wohnmobil beginnt im vorderen Bereich zu brennen. So die Darstellung der Polizisten. Eintreffende Rettungssanitäter werden gewarnt und ziehen sich zurück, die Feuerwehr dagegen darf das Fahrzeug aus nächster Nähe ungehindert löschen.
Eisenachs Polizeichef Gubert versichert nach dem Einsatz gegenüber dem Leiter der Eisenacher Feuerwehr, Steffan, es habe keine Gefahr durch die Bankräuber bestanden, im Falle einer bestehenden Gefahr ließe die Polizei „doch niemals das Feuerwehrauto durchfahren“:4)
Sie glauben wohl nicht, dass die Polizei die Feuerwehr ans Messer liefert oder in eine Situation lässt, wo geschossen wird!?“
Diese Versicherung widerspricht diametral den Aussagen der Polizisten Mayer und Seeland, die das Wohnmobil entdeckten. Eine Begründung für seine Gewissheit hat Gubert bis heute nicht abgegeben. Ferndiagnostisch wird der Tod der Fahrzeuginsassen durch Rauchvergiftung festgestellt, auf Rettungsmaßnahmen wird verzichtet, der Notarzt unverrichteter Dinge weggeschickt. Bei einem Blick ins Fahrzeuginnere legen sich Polizeidirektor Menzel und KOK Lotz erstaunlich schnell auf einen erweiterten Suizid fest, obwohl die vordere Leiche unter herabgefallener Dachverkleidung verborgen liegt. An der Hypothese der Selbsttötung hält auch das BKA fest trotz erheblicher Widersprüche der Auffindesituation und Obduktionsergebnisse. Eine Großfahndung nach weiteren bewaffneten gewaltbereiten Komplizen findet nicht statt. Lediglich ein Verdachtsfall des flüchtenden „dritten Mannes“ wird überprüft.
Gothas Polizeidirektor Menzel fordert am Nachmittag des 4. Novembers nach „Brainstorming“ ohne Anhaltspunkte zur Identität der Toten die Vermisstenakte Mundlos an (später auf den 5.11. datiert, nach Identifizierung der Fingerabdrücke von Mundlos, also redundant) und telefoniert mit VS-Rentner Wießner, „Wo ist die Zschäpe?“ (Der Anruf wird später zuerst auf den 5.11., dann auf den 6.11. datiert). Freidemokrat Kurth bestätigt im Untersuchungsausschuss des Bundestages Menzels erste Version der Identifizierung, als er aus vorliegenden Akten zitiert:5)
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP):
[…] Am 04.11. war maximal eine Person bekannt, wenn überhaupt, zweifelsfrei überhaupt erst am 05.11. Eingeliefert wurden zwei unbekannte männliche Personen. In den Akten, die wir hier zur Verfügung haben, legt sich niemand auf den Namen fest. „Mutmaßlich“ heißt es an der Stelle bei einer Person, und das auch erst um 16, 17 Uhr, also relativ später am Tag.
Wie sein Ex-Chef Roewer und die Bewohner der Zwickauer Polenzstraße äußert auch der frühere VS-Beamte Wießner Zweifel, dass Mundlos und Böhnhardt die ihnen angelasteten Verbrechen begangen haben sollen: Er habe ihnen das nie und nimmer zugetraut.
Rotkäppchensekt, Katzenkorb und Oma
Vorwissen gibt es auch in Zwickau. Und zwar ohne Abschied. Die zum Suizid entschlossenen Uwes rufen Beate nicht an, um ihr letzte Anweisungen zu geben oder Lebewohl zu sagen; Beate erfährt nach eigener Aussage „über das Radio, dass in Thüringen ein Wohnmobil entdeckt worden sei, welches brennen würde, dass Schüsse gefallen seien und dass sich,“ so glaubt sie sich zu erinnern, „zwei Leichen im Wohnmobil befinden würden.“ 6)
Beate Zschäpe bleibt nicht nur denkbar wenig Zeit, um das Terrornest in der Frühlingsstraße ohne praktische Erfahrung verletzungsfrei und fachgerecht in die Luft zu jagen, sie geht in einer Extremsituation auch ungewöhnlich strukturiert vor. Oma warnen, Sekt und Ibuprofen in die Tasche, Katzen übergeben, Bekennervideos einwerfen, Handy entsorgen, Flucht. Und: Sie handelt schlicht auf Verdacht. Eine Bestätigung dafür, dass die Toten in Eisenach ihre Uwes sind, hat sie zum Zeitpunkt ihres Beitrages zur „NSU-Selbstenttarnung“ nicht.
All das ist so bekannt wie unglaublich. Kaum zur Kenntnis genommen wird dagegen ein Beitrag des Arbeitskreises NSU, der sich auf konkrete Vorfeldaktivitäten in der Frühlingsstraße bezieht:7)
- In den Wochen vor dem 4.11.2011 wurden dort jede Menge fremder Autos gesehen, aus Köln, aus der „schwäbischen Provinz“, also aus Baden-Württemberg.
- Es wurden auffallend viele Bauarbeiten durchgeführt, Leitungsbau, Spielplatz-Arbeiten, Renovierungen der Dachgeschosse (auch im „Terrornest“, durch Heiko Portleroi, aber auch durch andere Firmen), Die wurden aber nie vorgeladen …
Der Chef des Bundes deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, äußert am 13. November 2011 öffentlich seine Skepsis gegenüber den Ermittlungserfolgen:8)
„Mutmaßungen sind in so einem Ermittlungsfall fehl am Platze, aber es verwundert schon sehr, wie schnell sich die Bundesanwaltschaft nach der Explosion des Hauses in Zwickau und dem Auffinden der Leichen der beiden Täter zur Gruppierung der Täter festgelegt hat und wie schnell über zwei Dutzend Aktenordner mit Erkenntnisse über die Täter präsentiert werden konnten.
Erstaunlich präzise Vorahnungen gibt es bei den Tatwaffen der Ceska-Morde und dem Heilbronner Polizistenmord. Als der Generalbundesanwalt am 11. November 2011 die Übernahme der Ermittlungen veröffentlicht, wird die erst zwei Tage zuvor im Brandschutt gefundene Ceska als Tatwaffe der Mordserie genannt trotz erheblicher zeitlicher Unstimmigkeiten zwischen Auffindetag, Eingang der Waffe bei der Kriminaltechnik des Bundeskriminalamtes und dem Abschluss der Untersuchungen.9)
Ähnlich prophetisch verkündet der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflüger am 9. November 2011 die Tatwaffe im Mordfall Kiesewetter, obwohl das Kriminaltechnische Institut in Dresden den Eingang der Waffe zur Untersuchung für diesen 9. November vermerkt. Seinem sächsischen Kollegen, Oberstaatsanwalt Uwe Wiegner, ist diese frühzeitige Festlegung schleierhaft.10)
Dieses behördliche Vorwissen geht später nahtlos in politische und mediale Vorverurteilung über. Schon am 22. November 2011, also nicht einmal drei Wochen nach der „Selbstenttarnung“, zeigen sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages in einer gemeinsamen Resolution „zur Mordserie der Neonazi-Bande“ zutiefst beschämt,
[…] dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt. 11)
In der Einsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses wird die Vorverurteilung zum Dogma erhoben. Das NSU-Phantom ist zur spirituellen Gewissheit geworden und zum Eckstein einer Erlösungsreligion.
Perpetuum mobile
Im ersten Kübel mit NSU-Enthüllungen, der über uns ausgegossen wurde, war auch „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“. Gigi ist der rechtsextreme Musiker Daniel Giese. Auf seinem „Adolf Hitler lebt!“ aus dem Jahre 2010 gibt es den Song „Döner-Killer“. Da heißt es: 12)
Neun mal hat er es jetzt schon getan.
Die SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm.
Die Ermittler stehen unter Strom.
Eine blutige Spur, und keiner stoppt das Phantom[…]
Hunderte Beamte ermittelten zuletzt.
300.000 Euro sind auf ihn ausgesetzt.
Alles durchleuchtet, alles überprüft,
doch kein einziger Hinweis und kein Tatmotiv.Am Dönerstand herrschen Angst und Schrecken.
Kommt er vorbei, müssen sie verrecken.
Kein Fingerabdruck, keine DNA.
Er kommt aus dem Nichts – doch plötzlich ist er da.
Musikalisch wertlos, aber wer den Text nach dem NSU-Showdown las, war elektrisiert. Was war das? Eine Botschaft an die Szene, Mitwisserschaft, Bekenntnis? Zunächst ist es Beamten-Sprech vom Feinsten und klingt wie aus einem Ermittlungsbericht abgeschrieben. Die Politologin Andrea Röpke verweist auf eine Sendung „XY ungelöst“ als Inspirationsquelle.13) Wie kommt Giese zu diesem Text und was soll er?
Rechtsrock ist für Sicherheitsdienste eine Goldgrube. Er ist Propagandaträger und provoziert als solcher Propagandadelikte. So rekrutiert man Straftäter zur V-Mitarbeit und als Agents provocateurs. Rechtsrock stiftet Gemeinschaft; Konzerte sind Versammlungsorte und werden entsprechend infiltriert und beobachtet. Will der Staat die rechtsextreme Szene kontrollieren, muss er Macher, Vertrieb und Logistik der Musikszene kontrollieren. Und NPD-Mitglied Gigi schafft es immerhin in den Verfassungsschutzbericht 2010 des Bundesinnenministeiums.14)
Am 18. November 2011, in Berlin treffen sich gerade 120 Minister und Fachleute aus Bund und Ländern zu einem Krisengipfel in Berlin, um Strategien gegen Rechtsextremismus zu beraten, raunt der Spiegel über Gigis mögliches NSU-Wissen. Zitiert wird ein User des inzwischen abgeschalteten rechten Thiazi-Forums:15)
Döner-Killer” sei eine “recht sachliche Ausbreitung der zu diesem Fall der Öffentlichkeit bekannten Fakten”, schrieb dort der Benutzer “Von Thronstahl” im Juni 2010.
Gut möglich, dass von Thronstahl diese Fährte als Beamter gelegt hat. Denn die Einzeltätertheorie (Serientäter), die er ebenso wie Gigi promotet, ist zwar der Schlüssel zum NSU-Phantom, in der Öffentlichkeit zu dieser Zeit aber stark unterbelichtet. Der Suchbegriff „Dönermord“ für den Zeitraum Anfang 2009 bis Mitte 2011 listet überwiegend Beiträge auf, die der Organisationstheorie nachgehen: Die Spur führt zur Wettmafia, zu den Grauen Wölfen, in die Schweiz, in die Türkei, aber kaum nach rechts. Die Einzeltätertheorie als Ermittlungsansatz dominiert in den Medien etwa 2007 bis 2008.
Noch 2010 werden mehrere Lieder des Albums „Adolf Hitler lebt!“ vom LKA Sachsen indiziert. „Döner-Killer“ bleibt legal. Der Verbreitung des Songs und damit eines vermeintlichen Mit- oder besser: Vorwissens steht nichts im Wege. Wie kommen die Sachsen ins Spiel? Ganz einfach: Produziert wurde Gigis Projekt in Chemnitz beim Label „PC Records“.
Die Welt ist ein V-Dorf. Chemnitz kennen wir nicht nur als Thomas Starkes Revier, in dem unsere drei Bombenbastler aus Thüringen „untertauchen“, der Chemnitzer Raum ist Großlabor für Geheimdienstprojekte aller Art: B&H, Nationale Sozialisten, Sturm 34, Operation Terzett und ahnungslose Behörden.
Gegründet hat das Rechtsrock-Label „PC Records“, das zu den „bundesweit aktivsten Herausgebern rechtsextremer Musik gehört“,16) Hendrik Lasch. Als Gigis „Döner-Killer“ entsteht, hat sich „Laschi“ aus dem Musikgeschäft bereits zurückgezogen und vertreibt Klamotten. Sein Nachfolger in der Musiksparte ist Yves Rahmel. Rahmel produziert auch die sogenannte Schulhof-CD. Den 2013 verbotenen Nationalen Sozialisten Chemnitz, zu deren Umfeld die Antifa auch die Brüder Eminger zählt, gibt Rahmel in bester V-Tradition Herberge. Im Chemnitzer Umfeld tauchen all die Namen, Verbindungen und Kontakte auf, die wir aus dem NSU-Komplex kennen.17)
Einsamer deutscher Wutnazi
Der Versuch, 2010 über Daniel „Gigi“ Giese, die freistaatlich-sächsische Neonaziszene und das Thiaziforum die Einzeltäter-/Serientätertheorie der BAO Bosporus bundesweit wiederzubeleben, nutzt ein klares Täterprofil. Dieses Profil kommt vom Nürnberger Ermittlerteam selbst und geht auf den Münchner Fallanalytiker Alexander Horn zurück. Der spätere NSU verbindet die Tätercharakteristik mit Elementen der Autonomen Nationalisten (Taten statt Worte).18) Aus Sicht des Verfassungsschutzes im Jahr 2010 haben die AN das größte Entwicklungspotential innerhalb des rechtsextremen Spektrums.19)
Im Sachstandsbericht der BAO Bosporus von 2008 werden für den „missionsgeleiteten“ Täter folgende Kriterien formuliert:20)
- Geschlecht männlich,
- Alter (Jahrgang 1960 bis 1982)
- geografischer Bereich Nürnberg (Ankerpunkt),
- Nationalität deutsch,
- Affinität zu Waffen / Schießfertigkeit,
- Mobilität, evtl. beruflich bedingt,
- Kenntnisse zur Rechten Szene und
- polizeiliche Vorerkenntnisse (nicht zwingend erforderlich).
[…]
Aufgrund kriminologischer Erkenntnisse steht fest, dass Serientäter eine erhöhte Suizidneigung aufweisen.
Lassen wir Nürnberg, wo drei der neun Ceskamorde verübt wurden, weg und nehmen dafür die Radfahrer, die im 2008er Bericht in den Fokus rücken, dann haben wir den „NSU“:21)
In den Fällen SIMSEK, KILIC, YASAR und KUBASIK sind von Zeugen Wahrnehmungen gemacht worden, die darauf hindeuten, dass die vermeintlichen Täter mit Fahrrädern an den Tatort gelangten bzw. mit diesen flüchteten.
Im Vergleich der Bosporus-Sachstandsberichte von 2005 und 2008 verschiebt sich der Verdachtsschwerpunkt weg von der Organisationstheorie hin zur Einzeltätertheorie deutlich trotz behaupteter Gleichrangigkeit. 2006 hatte die BAO-Führung eine alternative Hypothese durch Alexander Horn von der OFA Bayern in München erstellen lassen. Ab dem 1. Juni 2006 befasst sich eine Ermittlungseinheit ausschließlich mit dem Ermittlungsansatz eines Serientäters. Der Fallanalytiker Horn hat beim FBI gelernt. Sein Ceskamörder ist ein typischer amerikanischer Serienkiller: männlich, weiß, zwischen 20 und 40 Jahre alt, frustriert.
Gründe, die 2005 noch gegen den Ausländerhasser mit Suizidneigung sprechen, werden 2008 in diesem Zusammenhang ausgeblendet.22)
Einzeltäter/Psychopath
Aufgrund des Umstandes, dass sich bei den Opfern kein konkretes Motiv ergibt,
kriminelle Bezüge nicht zu finden sind und Beziehungen untereinander fehlen, werden auch Überlegungen zu Einzeltätern mit einbezogen, die ohne Mordauftrag Dritter aus eigenen Motiven (ähnlich den in den USA aufgetretenen „Snipern”) handeln.
Dagegen spricht, dass fast alle Opfer vor den Tatzeiten von Personen aufgesucht wurden, die nicht zur Stammkundschaft oder zum näheren Bekanntenkreis der Opfer gezählt werden können. Die Besuche wurden von unbeteiligten Zeugen als Bedrohungslagen oder als Streitgespräche interpretiert.
Weiterhin liegen Aussagen vor, dass es z.B. bei den Opfern SIMSEK und TASKÖPRÜ zu Wesensveränderungen in den Wochen vor der Tat gekommen war, was ebenfalls gegen diese Theorie spricht.
Der 2008er Bericht verknüpft über die Radfahrer die Ceska-Mordserie mit dem Nagelbombenanschlag in Köln 2004. Das ist verhängnisvoll, denn de facto beseitigt der Kölner Bombenanschlag die starke Botschaft einer unverwechselbaren Handschrift für die Vorgehensweise der Ceskaserie. Der Kölner Anschlag ist eben keine individuelle Hinrichtung.
Das NSU-Phantom ist 2008 auch ermittlungsseitig vorbereitet. Medial hat der Ermittlungsansatz des Einzel- bzw. Serientäters längst die Oberhand gewonnen.23)
Bei den Ermittlungen wurde von polizeilicher Seite weder die Serientäter- noch die Organisationstätertheorie bevorzugt. Der Schwerpunkt der medialen Berichterstattung lag jedoch eindeutig bei der Serientätertheorie, was aber ausschließlich dem Verantwortungsbereich der Medien zuzuschreiben ist.
Die amerikanische Lösung
2006 endet die Ceskamordserie. Ein Jahr später bringt das ZDF eine Dokumentation heraus, die alle Facetten des späteren NSU-Komplexes vorwegnimmt: „Der Fall – Jagd nach dem Phantom“.
https://www.youtube.com/watch?v=GCZBJbh0DRk
Alles, was nach der „NSU-Selbstenttarnung“ die Aufklärung bestimmt, gibt es bereits: den noch unausgesprochenen Vorwurf „rassistischer“ Ermittlungen, das Verschweigen krimineller Verwicklungen der Opfer und Drohungen gegen sie im Vorfeld der Morde, die Furcht innerhalb der türkischen Gemeinschaft, zwei junge Männer mit Fahrrädern, den Suizid des Serienmörders.
Der Mörder kommt, tötet und verschwindet wieder. Neun Morde und ein Ende nicht in Sicht. War dieser Film Vorlage für Gigis Phantom?
Fallanalytiker Alexander Horn hat in der ZDF-Dokumentation seinen großen Auftritt: Seine Profiler schließen aus, dass ein professioneller Auftragskiller die Morde begangen hat. Und Bosporus-Leiter Geier darf am Ende zusammenfassen: Es handelt sich beim Täter um einen Deutschen. So geht Vorwissen im politisch-medialen Raum.
2007 entstehen auch große Teile des „NSU-Bekennervideos“. Die Weichen für den „NSU“ sind 2007 längst gestellt. Der Rest ist Warten auf eine Gelegenheit und schlecht gemachte Umsetzung. Zu viel geht am 4. November 2011 daneben. An Beate Zschäpe liegt es nicht.
Anmerkungen und Fußnoten:
1) Heike Kuhn gegenüber dem Journalisten Andreas Förster
http://www.berliner-zeitung.de/politik/neonazi-zelle-zwickau-wie-die-neonazis-unbeachtet-durchs-leben-gingen,10808018,11584036.html
2) “Das haben sie von ihrem Küchenfenster aus gesehen”, fragte die Anwältin und ließ ihren Zweifel daran deutlich durchblicken, dass die Zeugin Susann E. nur dieses eine Mal gesehen hat. An diesem Punkt der Zeugenbefragung zeigt die 46-Jährige Nerven. Sie erklärte, dass sie derzeit “anderes im Kopf habe”. “Was denn”, will die Anwältin wissen und aus der Zeugin bricht es unter Tränen heraus: “Vor kurzem ist mein Vati gestorben, meine Tochter wurde sexuell missbraucht.” Jetzt sei Schluss. Sie interessiere sich für das alles nicht mehr.
3) Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Scharmer erklärt zur Befragung der Nachbarin:
“Man musste der Zeugin die Antworten förmlich aus der Nase ziehen und dann reagierte sie laut und in der Regel auch frech. Sie erklärte, dass sie andere Probleme habe, als hier auszusagen. Dass es um 10 ermordete Menschen geht und es auch auf ihre Aussage ankommt, sah die Zeugin nicht. Die Zeugin war nicht nur unverschämt gegenüber dem Gericht und den Nebenklageanwälten. Ihr fehlte auch jegliche Empathie für die hingerichteten Opfer des NSU. Es verwundert nicht, dass das Trio in Umgebung solcher Nachbarn nicht aufgefallen ist.“
https://www.nsu-watch.info/2013/12/protokoll-67-verhandlungstag-10-dezember-2013/
Protokoll der NSU-UA-Sitzung des Thüringer Landtages vom 27.08.2015
5) Protokoll des Bundestags-Untersuchungsausschusses Nr. 56 a, öffentlich
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/CD14600/Protokolle/Protokoll-Nr%2056a.pdf
6)Aussage Beate Zschäpes im Wortlaut
http://www.welt.de/politik/deutschland/article149803799/Dokumentation-Die-Aussage-der-Beate-Zschaepe.html
9) Vgl. dazu Aktenmaterial und Auswertungen des AK NSU
https://sicherungsblog.wordpress.com/2014/08/06/wann-wurde-die-ceska-w04-aus-dem-zwickauer-schuttberg-untersucht/
12) http://de.metapedia.org/wiki/D%C3%B6ner-Killer
14) https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/vsb2010.pdf?__blob=publicationFile
15) http://www.spiegel.de/panorama/justiz/rechtsextreme-musik-hymne-auf-die-moerder-a-798627.html
16) http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19124
17) https://linksunten.indymedia.org/de/node/110037
19) https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/vsb2010.pdf?__blob=publicationFile
(Seite 64 ff.)
20) Sachstandsbericht BAO Bosporus, Stand Mai 2008, S. 82f
21) Ebd. S. 52
22) Sachstandsbericht 2005 BAO Bosporus, Stand November 2005, S. 107
23) Sachstandsbericht BAO Bosporus, Stand Mai 2008, S. 91
“ Fallanalytiker Alexander Horn hat in der ZDF-Dokumentation seinen großen Auftritt: Seine Profiler schließen aus, dass ein professioneller Auftragskiller die Morde begangen hat“
Horn und seine sog Profiler sind voll die Schnarchzapfen und/oder politisch Korrekte.
Ich schreibe mal was im Forum dazu.
http://taz.de/Ungeklaerte-Morde-an-Migranten/!5265134/
http://nsu-leaks.freeforums.net/thread/549/weiterer-mord-burak-bekas-2012
es sieht so aus, als haette man gar nichts.
Nimmt man die Blutbilder aus dem Wohnmobil, die Blackbox, Grasels Vortrag vor Gericht, Götzls Fragen und diese kleine und feine Analyse des Vorwissens, dann kommt unterm Strich eine erschreckende Erkenntnis heraus.
Zschäpe wurde 3 Tage vor dem Knall an einen neuen Dienstort beordert.
Bis heute läßt sich anhand der Akten nicht aufzeigen, wo sie scih vom 2.11.2011 bis zur Selbsteinlieferung am 8.11.2011 aufgehalten hat.
Für ihre Anwesenheit in Zwickau gibt es nicht mal homöopatische Spuren in den Akten.
Die Erkenntnis.
Zschäpe weiß von all den Verbrechen und dem NSU, dem sie angeblich angehörte, auch nur aus der Gefängniszeitung, der Anklageschrift, was wohl das gleiche ist, und den Märchenstunden vor Gericht.
Am geilsten fand sie den Vortrag Setzensacks über die Zündelei in der Frühingsstraße, wesewegen sie ihn, wie von Setzensack vorgeschlagen, 1:1 in die Tat umgesetzt hat.
Sprich, Zschäpe hat bis heute keine Ahnung von auch nur einer einzigen der Taten und weiß genausoviel wie Journalisten oder Aufklärer, also nichts.
Und ihre Führungsoffiziere lassen sie hängen, wie der damalige Innenminister Beckstein über das V-Mensch-System zugab:
Der V-Mann muß wissen, daß er auf eigene Rechnung handelt, öhm, daß er einmal gegenüber dem Milieu, das er verrät, sich keine Meriten erwirbt, aber daß auch der Staat nicht, öhm, sich uneingeschränkt zu ihm bekennt, weil er schließlich in einem Milieu mitschwimmt, äh, das der Staat nicht haben will.
Und daß man damit nicht ’nen Orden kriegt, sondern daß man immer in einem Zwielicht steht, damit muß jeder leben.
@ die Anmerkung
Der Spruch von Beckstein hoert sich an wie aus Mission Imposible. Nur nicht so cool:
„Sollten sie oder ihr Team gefangen genommen oder getötet werden, wird die Regierung jegliche Kenntnis über ihre Existenz bestreiten“
„Am 1. November 2011 kennt Beate Zschäpe ihre Zukunft und muss weinen.“ … geh ich mal davon aus, daß die Uwes da schon auf Eis lagen …