#NSU: Mord an Michelle Kiesewetter

Bei einem normalen Mord hätte es sich um etwa zwölf Per­sonen gehandelt. Aber ein Mord an einem Kollegen war nicht normal, so dass das K2 bis zum letzten Platz gefüllt war. … In den ersten intensiven, hochmotivierten Wochen war Hagen überzeugt gewesen, den Fall schnell lösen zu können. Auch wenn technische Spuren ebenso fehlten wie Zeugen, mögliche Motive, Verdächtige oder auch nur Anhaltspunkte. Einfach weil Wille und Bereitschaft so groß waren und sie über nahezu unbegrenzte Ressourcen verfügten.

Gunnar Hagen räusperte sich. »Guten Morgen. Wie die meisten von Ihnen bereits wissen, sind nach der gestrigen Pressekonferenz eine ganze Reihe von Hinweisen einge­gangen, denen wir nun nachgehen müssen. Insgesamt sind es bis jetzt neunundachtzig Tipps. Einige davon sind wirklich interessant.«

Er brauchte nicht auszusprechen, was alle längst wussten: Nach bald drei Monaten Ermittlungen waren sie zu der frustrierenden Erkenntnis gelangt, dass fünfundneunzig Prozent der Hinweise reiner Bullshit waren. …

Mit »einige davon« meinte er exakt vier Hinweise. Und dass diese wirklich interessant waren, war eigentlich eine Lüge, da man ihnen bereits nachgegangen war. Und auch diese Hinweise hatten nur ins Leere geführt.

Nur nicht drin rumrühren, in der schmutzigen Brühe der Ländlepolizei, denn irgendwann greift das Nesbø-Axiom. Das mögen sich die Drexler-Ultras denken, die eifrig an der Verhinderung der Aufklärung des Mordes an Michelle Kiesewetter werkeln.

Jeder ging irgendwann ins große Buch des Vergessens ein, so war das einfach, und so würde es irgendwann auch mit den Polizistenmorden sein.

Jo Nesbø, Koma

Möge es einen aufrechten Polizisten im Ländle geben, der ihnen einen Strich durch die Rechnung macht. Es darf auch eine Sie sein. Gerne auch zwei.

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2 comments

  1. Frag mich auch warum in den 10 Jahren der Vertuschung keiner mit Erkenntnissen kommt. Wussten sicher einige um den Stand als man immer dichter rankam. Wenn die Polizisten aber sehen wie der Schuster und Bini aktiv die Vertuschung unterstützen, dann haben die Schiss auf Edeka. Ob einer im Ruhestand was befürchten muss kann ich nicht beurteilen. Sonst wäre ein Testament noch eine Möglichkeit.
    Ansonsten wars eben nix mit aufrecht und Polizist.

  2. Ich denke, dass es -wenn überhaupt- nur eine ganz schmale Grenze zwischen „Mitwissen“ und „Beteiligung“ an (dienst-)strafrechtlich relevanten Handlungen im Fall Kiesewetter gibt.
    Nach Abwägen der Pro und Cons wird der derzeitige Status wohl als beste Version von Allen(Situationen/Beteiligten?) gewertet …
    Zugegeben, keine schöne Vorstellung. Einigermaßen verständlich wäre das Decken eines Vorfalls, welcher keine juristische Aufarbeitung mehr braucht (z.B. „echte(r) Todesschütze(n)“ verstorben … ; Unfall; aussenpolitische Spannungen mit „Freuden“^^; u.s.w.) – und welch „Beifang“ die Ermittlungen mit sich brachten, passt vielleicht doch irgendwie ins Konzept „Sichere City“.

    Weniger tröstlich wäre die Vorstellung, dass entweder der Korpsgeist oder düstere Mächte aus dem Balkan dem Phantom Leben eingehaucht haben und nur deshalb unerkannt bleiben, weil die eigene Herde ein Teil dieser ist… .

    Üble Dimensionen, wenn das Aufdecken der tatsächlichen Umstände mit dem Makel „preisgeben von Dienstgeheimnissen“ behaftet wäre – und zu Pensionskürzungen/Streichungen führen könnte.
    Ansonsten hätte ich nur noch das Einknicken vor Bedrohungen für Leib und Leben(auch der Angehörigen) im Angebot …
    … abgesehen von diesen „irgendwie gerechtfertigt“-Gründen.

    Schä(n)dlich, so oder so.

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