Veröffentlicht am 13. September 2015
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Das muss man ihnen lassen: hartnäckig sind sie. Zum dritten Mal schon hat der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss versucht, das Geschehen am 4. November 2011 in Eisenach-Stregda aufzuklären. Wieder sammelten die Parlamentarier Details, Bilder und Aussagen, um endlich zu verstehen, wie sich die vorgeblichen Rechtsterroristen Böhnhardt und Mundlos unter Aufsicht und begleitet von Polizei, Feuerwehr und Presse „selbst enttarnten“ und was danach passierte.
Das Ergebnis der Ausschusssitzung vom 27. August ist mager. Gravierende Widersprüche können die Ausschussmitglieder weiter nicht auflösen. Den Befragten gegenüber verzichten sie auf einfachste Aussagenlogik. Es scheint, als kapitulierten Dorothea Marx und ihre Detektive vor einer aufgehäuften Masse an Einzelheiten, als haben sie den Blick fürs Wesentliche verloren und das Extrahieren von Zusammenhängen aufgegeben.
Wichtige Spuren, wie die Zeugenaussagen zum „dritten Mann“ werden nicht weiterverfolgt, logische Brüche, wie das Vordatieren beim Beschaffen der Vermisstenakte Mundlos durch Polizeichef Menzel, ignoriert, Merkwürdigkeiten, wie das Fehlen von Böhnhardts Fingerabdrücken im und am Wohnmobil gar nicht erst thematisiert. Bisher jedenfalls.
weiterlesen: https://parlograph.wordpress.com/2015/09/13/untot-in-stregda/
Zur Zeugenbefragung geladen waren nach Erfurt eine Fotojournalistin, der damalige Amtsleiter der Eisenacher Berufsfeuerwehr, ein Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr, die Rechtsmedizinerin Prof. Else-Gitta Mall und Mitarbeiter der Abschleppfirma, die den mutmaßlichen „mobilen Tatort“ wegschaffte.
Kein Auftrag, keine Erinnerung
Große Hoffnung hatte die Aufklärergemeinde in die Befragung der Leiterin der Jenaer Rechtsmedizin, Prof. Mall, gesetzt. Sie wurde zugleich auch die schwerste Enttäuschung. Das einzige, was Frau Mall zuverlässig erinnern konnte, waren Name, Alter und Familienstand.
Der Rest war Amnesie. An den Fundort der Leichen in Stregda geriet sie mehr zufällig, zur Lage, Verletzungen und Todesumständen der Leichenfunde im Wohnmobil wusste sie wenig bis nichts zu sagen. Einen Untersuchungsauftrag gab es nicht, schriftliche Aufzeichnungen fertigte ihr Ärzteteam nicht an, nach einer halben Stunde Wartens am Wohnmobil zog Prof. Mall mit ihren Kollegen unverrichteter Dinge ab.
Den nahezu vollständigen Gedächtnisverlust Malls dokumentiert der Sitzungsbeobachter und Blogger Querläufer.1) Ungewöhnlich ist der Blackout allemal: Die schweren Kopfverletzungen durch großkalibrige Nahschüsse sollten auch bei einer routinierten Rechtsmedizinerin bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Umso mehr, als die späteren Entwicklungen und Berichte zum „NSU“ einen prägenden Zusammenhang herstellten.
Um Prof. Malls Erinnerungen zu reaktivieren, wäre ein Abgleich der Fotoaufnahmen des Feuerwehreinsatzleiters oder des Kriminalbeamten Lotz mit späteren Aufnahmen aus der Halle hilfreich gewesen.
Hier aber gibt es das nächste Problem: Die Einziehung der Speicherkarte durch Polizeidirektor Menzel wurde vom Ausschuss zwar kritisiert, die viel wichtigeren Fotodokumente selbst scheinen indes noch immer nicht vorzuliegen. Wer ansonsten noch welche Fotoaufnahmen in Stregda und anschließend in der Fahrzeughalle machte, bleibt bisher ebenso ungeklärt und ungeordnet.
Die Passivität Prof. Malls und Dr. Heiderstädts in Stregda wurde damit begründet, dass zunächst die Spurensicherung den mutmaßlich Tatort untersuchen sollte. Das mag zwar einleuchten. Zugleich aber äußerte die Rechtsmedizinerin Verständnis, dass man sie direkt hinzuzog. Im Falle eines Tötungsdeliktes könnten zeitnahe Temperaturmessungen an den Leichen den Todeszeitpunkt bestimmen.
Genau das jedoch unterblieb. Auch formal wurde der Tod der unbekannten Personen nach derzeitiger Informationslage weder von einem Notarzt, noch von den eintreffenden Rechtsmedizinern festgestellt. Grundsätzliche Zweifel an der dargestellten Situation im Wohnmobil sind durch Prof. Mall jedenfalls nicht glaubwürdig ausgeräumt worden.
Was Frau Mall in Stregda noch nicht wissen konnte, hat der Untersuchungsausschuss in seinem Abschlussbericht zum 1. NSU-Untersuchungsausschuss veröffentlicht. Ausweislich der Sektionsprotokolle werden für beide Leichen keine Rußpartikel in der Lunge nachgewiesen.2)
III. Todesursache
KopfdurchschussverletzungZur Sektion gelangte die Leiche eines zunächst unbekannten, zwischenzeitlich als Uwe Böhnhardt identifizierten Mannes. Die oberflächlichen großflächigen Hautverbrennungen an Rumpf und Gliedmaßen sind mit der Auffindesituation in einem ausgebrannten Wohnmobil vereinbar. Hinweise auf eine Rußeinatmung oder ein Rußverschlucken wurden nicht festgestellt.
[…]
III. Todesursache
Kopfdurchschuss (Mundschuss)Zur Sektion gelangte die Leiche des 38-jährigen Mannes Uwe Mundlos. Die nachgewiesenen oberflächlichen und großflächigen Hautverbrennungen an der linken Hand und an den Beinen sind mit der Auffindesituation in einem ausgebrannten Wohnmobil vereinbar. Hinweise auf eine Rußeinatmung oder ein Rußverschlucken wurden nicht festgestellt.
Es ist also zur Stunde weder geklärt, in welchem Zustand sich welche Personen im Wohnmobil befanden, als die Ärzte Prof. Mall und möglicherweise Dr. Heiderstädt einen Blick ins Wohnmobil warfen. Noch wissen wir, warum zwar Sanitäter vor Ort waren, aber ein Notarzt bei einem Brand mit Gefährdung von Menschenleben fehlte und auch nicht hinzugezogen wurde, als sich der Verdacht von involvierten Fahrzeuginsassen bestätigte.
Gesichert ist, dass ein Herr Hennig um 12.16 Uhr „beim Patienten“ eintraf und um 12.22 Uhr „keine medizinischen Maßnahmen“ mehr erfolgten. Dem gegenüber allerdings steht eine Meldung der Polizei von 12.33 Uhr:3)
Die Abg. König (DIE LINKE) macht einen Vorhalt aus Band 9 der Akte, Polizeidirektion Gotha vom 4.11.2011. In einer Meldung von 12.33 Uhr heißt es: eine Leiche im Wohnwagen, eine zweite möglicherweise auch.
Die Abg. König (DIE LINKE) meint, dass da eventuell noch gar nicht klar war, ob die 2. Person tot ist, sondern vielleicht noch lebt.
Ob Sanitäter direkt im Wohnmobil lebensrettende Maßnahmen durchführten, werden wir voraussichtlich in der nächsten Ausschusssitzung erfahren. Ein Blick ins Fahrzeug allein dürfte auch bei der im Gang liegenden Person, die mit Brandschutt des herabgefallenen Fahrzeugdaches bedeckt war, nicht genügt haben, um eine medizinische Erstversorgung zu verweigern.
Bergungsversuche der zunächst mutmaßlich Verletzten durch Einsatzkräfte der Feuerwehr gab es im krassen Widerspruch zu den Prioritäten der Lageerkundung bei Brandeinsätzen offensichtlich nicht.
Eingezogen, Punkt – aus – Ende
Sieben Mal äußerten Zeugen in der Ausschusssitzung Ende August über die Besonderheiten des Einsatzes und der folgenden Entwicklungen, so etwas noch nie erlebt zu haben.
Wenn wir den Leichentransport eines nicht vollständig abgekühlten „mobilen Tatortes“ als Merkwürdigkeit übergehen, mit dem ungesichert eine Handgranate befördert worden sein soll, oder den angeblichen Besuch des sächsischen Innenministers in der Fahrzeughalle der Abschleppfirma Tautz und vieles andere, dann bleibt noch immer dringend klärungsbedürftig die Aussage des ehemaligen Amtsleiters für Brand- und Katastrophenschutz in Eisenach, Burkhard Steffan zur Gefährdungssituation für die Einsatzkräfte der Feuerwehr.
Brandoberamtsrat Burkhard Steffan
und sein Nachfolger Brandoberinspektor Jens Claus
Hier läuft alles auf das sogenannte Aufklärungsgespräch hinaus, an dem im Nachgang des 4. Novembers mindestens der Amtsleiter Steffan, Feuerwehreinsatzleiter Nennstiel und der Eisenacher Polizeichef Gubert teilnahmen.
Pensionär Steffan glaubte im Ausschuss damit durchzukommen, dass er die Polizei als Instanz darstellt, die zu hinterfragen sich verbietet. Ein braver Beamter, der den Anweisungen der Polizei Folge leistet, denn „so sei er großgeworden“. Das mag bei der eingezogenen Speicherkarte noch klappen, bei Verantwortung für die Gefährdungssituation in Stregda aber verfängt es nicht mehr.
Machen wir einen kurzen Satz zurück in die NSU-Ausschusssitzung vom 31. März 2014. Dort hatten die beiden Polizisten Seeland und Mayer mehrfach und nachhaltig betont, dass im Wohnmobil geschossen worden war. Der Gothaer Polizeidirektor Menzel gab in dieser Ausschusssitzung an, dass das SEK angefordert wurde und Einsätze mit Waffenbezug von Beamten des höheren Dienstes geleitet werden.
Der Zeuge Frank Mayer, einer der beiden Polizisten, die zuerst am Wohnmobil eintrafen:4)
Der Zeuge erklärt, dass er gar nicht viel beitragen könne. Er habe im Zuge der Fahndung das Wohnmobil festgestellt und durchgefunkt. Dann habe man sich dem Fahrzeug genähert, es seien Schüsse gefallen. Dann kamen Rauch bzw. Flammen raus und es kamen noch zwei weitere Schüsse. Danach habe man auf weitere Kräfte gewartet.
Die Vors. Abg. Marx Schüsse gibt an, dass die Schüsse in der Akte zu Knallgeräuschen mutieren. Sie bemerkt, dass der Zeuge einen Aktenvermerk am 4.11. verfasst:
„Hinter das Wohnmobil konnte nicht eingesehen werden […] 12.05 Uhr nahmen wir Geräusche aus dem Inneren wahr […] näherten uns, dann Schuss, kurz darauf ein zweiter […] nach dem Funkspruch ein dritter Schuss […] durch Herrn Seeland wurde bemerkt dass Teile der Dachverkleidung wegflogen“. Ein Polizist soll sich daraufhin hinter einem anderen Fahrzeug versteckt haben, ein anderer habe hinter einem Mülleimer Schutz gesucht.
[…]
Frau Marx erklärt, dass Herr Menzel dann von zwei Knallgeräuschen schrieb. Nein, mit Sicherheit drei, gibt der Zeuge an. „Es müssen ja Schüsse gewesen sein, im Nachhinein wissen wir es ja“, so der Zeuge, er ja als Polizist selber öfter schiesst, er habe sowohl mit einer MP als auch mit einem G3 schon geschossen. Man erkenne das ja akustisch, was ein Schuss ist.
Der Zeuge wiederholt mehrfach „es waren definitiv 3 Schüsse“ […]
Das beteuerte in gleicher Weise sein Kollege Seeland. Riefen die beiden die Feuerwehr? Nein:
Dann habe es geknallt, “Erscht einmal”, dann suchte man Deckung. Es folgten die beiden anderen Schüsse, Rauch und Feuer. Untermann: „Und dann rufen sie geistesgegenwärtig die Feuerwehr?“, Mayer: „Nein!“, er habe das der Leitstelle durchgegeben. Untermann fragt dann weiter, warum er denn nicht die Kameraden der Feuerwehr gewarnt hätte: “Da stehen 3-4 Polizisten rum und sagen nichts, dass da drin geschossen wurde!”, da müsse man doch warten, bis da drin keine Gefahr mehr besteht empört sich der Abgeordnete.
Der Zeuge meint, dass das alles über die Leitstelle lief. Es [Was – d.A.] die an Infos weitergaben entzieht sich seiner Kenntnis.
War es also die Leitstelle der Polizei, die an die Rettungsleitstelle einen einfachen Fahrzeugbrand weitergab, obwohl sie Kenntnis von gefährdeten Personen und Schüssen hatte? Auch das ist noch immer unklar.
Wie mutierten die eindeutigen Schüsse zu Knallgeräuschen? Polizeisprecher Ehrenreich, der ebenfalls nach Stregda geeilt war, gab zu Protokoll:
Nach dem das Wohnmobil lichterloh brannte ging er davon aus, dass von dem Wohnmobil keine Gefahr mehr ausging. Reihenfolge: Schuss. Schuss. Rauchentwicklung. Es schlagen Flammen aus dem Dach. Alles im Zeitraum zwischen 5–10 Minuten. Man habe aber direkt nach der Schuss-Info Kräfte rausgeschickt, so der Zeuge.
Später habe er die Schüsse in Knallgeräusche formuliert, weil ja die Geräusche auch durch den Brand ausgelöst worden sein könnten. Bei der Begehung des Wohnmobils durch seine Kollegen wurden die Schussverletzungen an den Leichen bekannt, dadurch dann die Schlussfolgerung auf Schüsse. Das habe er jedoch dann nicht nochmal an die Presse gesteuert.
[…]
Frau Marx macht auf die wörtliche Verwendung von „Knallgeräuschen“ statt Schüssen in den weiteren Ermittlungen aufmerksam und auch dass ein 3. Schuss gehört worden sein soll. „In meiner eigenen Wahrnehmung haben für mich niemals drei Schüsse eine Rolle gespielt“, er selbst habe erst später davon erfahren, dass auch ein dritter Schuss im Raum gestanden haben soll.
Die Kritik der Feuerwehr, man habe sie ungeschützt einer erheblichen Gefährdungssituation ausgesetzt, wird nach Angabe des Amtsleiters Steffan im späteren Auswertungsgespräch dagegen ausgeräumt. Durch den Leiter der Polizeiinspektion Eisenach, Polizeirat Thomas Gubert.
Gubert behauptet im krassen Widerspruch zu den Aussagen der beiden Polizisten Mayer und Seeland apodiktisch, es habe keine Gefahr für die Feuerwehr bestanden. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als Schüsse Teil der Suizidtheorie der Ermittler waren.5)
Der Zeuge Steffan berichtet von dem Auswertungsgespräch, „um das aufzuhellen und das endlich mal aus der Welt zu schaffen …“, um die Frage zu klären ob der Feuerwehreinsatz konform lief oder ob es Probleme gab – denn es sei das Schlechteste, wenn „nicht genannte Dinge dann herumwabern“. „Am Tisch gab es keine Probleme mehr.“
Der Eisenacher Polizeichef, Herr Gubert, hätte die Bedenken ausräumen können. Die Abg. König (DIE LINKE) möchte wissen, wie Herr Gubert denn begründet habe, dass keine Gefahrenlage vor Ort bestanden habe. Steffan: Er habe Gubert direkt gefragt: „Bestand eine Gefahr?“, weil beim Amtsleiter Steffan im Haus eine „Unruhe bestanden“ hätte.
Herr Gubert hätte entgegnet, im Falle einer bestehenden Gefahr, ließe die Polizei „doch niemals das Feuerwehrauto durchfahren“. Eine Gefährdung hätte nicht vorgelegen.
Thomas Gubert gehört dringend vor den Untersuchungsausschuss der Thüringer Parlamentarier, um eine Begründung für seine Gefahreneinschätzung zu erläutern. Ein „Alles gut“ reicht nicht mehr aus.
Es wird also mindestens eine fünfte Ausschussitzung notwendig werden, um endlich zum realen Kern des 4. Novembers 2011 vorzudringen. Zunächst aber warten wir auf die Aussagen der Sanitäter und Kriminaltechniker am kommenden Donnerstag.
Quellen/Nachweise:
2) Bericht des Untersuchungsausschusses 5/1 „Rechtsterrorismus
und Behördenhandeln“, Band II, S. 1328f
4) https://haskala.de/2014/03/31/ticker-zum-nsu-untersuchungsausschuss-31-03-2014/#vierter
Die Rechtschreibung in den Zitaten wurde an einigen Stellen zurückhaltend korrigiert.
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