Erstaunlich: Jene Werkzeuge, mit denen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihre Morde und Banküberfälle planten und spurlos ausführten, ihre nationalsozialistischen Denkorgane also, deren Gedankenausscheidungen unsere Experten nach allen Regeln der Kunst untersucht und seziert haben, lagen im Stregdaer Wohnmobil noch unbeachtet unterhalb der Küchenzeile, als Leichen und Waffen längst asserviert und herausgebracht waren. Und auch später kümmerte sich niemand darum.
Abb. 01 (links): Gehirnmasse linke untere Bildecke;
Übersichtsaufnahme der KPI Gotha, Aktenteil 4.1.6, S. 256
Abb. 02 (rechts): Gehirnmasse am linken Bildrand,
Detailaufnahme aus Band 4.1.9, S. 454
In den Kommentarspalten des Bloggers von „friedensblick.de“ entspann sich vor einigen Wochen eine Diskussion über die Lage dieser Gehirnmassen. Denn es ergeben sich einige Probleme. Zu welchem der beiden Toten gehören sie und was sagt die Auffindesituation über das Geschehen im Wohnmobil aus? Lässt sich anhand der Zellmasse etwas über die Flugbahnen der Geschosse sagen? Und passt ihre Lage zur Tathergangshypothese des BKA?
User Johannes steigt mit einer Hypothese ein, die mehrere Fragen zur Ballistik der Schüsse und den Ablauf der suizidalen „NSU-Selbstenttarnung“ anreißt.1)
Was definitiv auch n i c h t passt, und wohl bisher niemanden aufgefallen ist, sind die beiden Grosshirnmassen die am Wohnmobilboden im Küchen/Herd Bereich waren und fotografiert wurden. Sie lassen rückschliessen (falls die beiden Grosshirnanteile jeweils zu Böhnhard und Mundlos gehörten, dass die Krönleinschüsse (Böhnhard in die Schläfe, Mundlos in den Mund) den beiden Opfern am Boden liegend mit den Köpfen im Bereich der Fundstelle der deutlich sichtbaren Grosshirnanteile zugefügt wurden.
Das ist ein wichtiger Ansatz, auch wenn sich das Vermutete nicht rückschließen lässt. Wir wissen weder wessen Gehirnmasse da liegt, noch wie, wann und durch wen sie dahin gelangte. Von Schussdefekten im Boden des Wohnmobils ist nichts bekannt. Kriminaldirektor Menzel und der Eisenacher Kriminalist Lotz hatten sich nach erster Inaugenscheinnahme auf suizidale Handlungen im Wohnmobil festgelegt, es gab keine Ermittlungen eines Tötungsverbrechens.
weiterlesen: https://parlograph.wordpress.com/2015/11/22/black-box/
Wir können aber jene BKA-Hypothese, die sich als quasioffizielle Darstellung festgesetzt hat, auf Wahrscheinlichkeit hin überprüfen und die Diskussionsgrundlage zum Geschehen im Wohnmobil erweitern.
Die Überlegungen sollen wie folgt gegliedert werden:
- BKA-Hypothese und Ausgangslage
- Auffindesituation Wohnmobil
- Mögliche Positionen und Körperhaltungen von B. und M. in Verbindung mit Schusskanälen, Geschossflugbahnen, Schussdefekten im Dach und Lage der aufgefunden Leichen
- Lage der Gehirnmasse, Auffindesituation der Leichen und Spurenbilder (Blutanhaftungen)
- Fazit
1. BKA-Hypothese und Ausgangslage
In den vom Arbeitskreis NSU veröffentlichten Aktenteilen2) stellt Kriminaloberkommissar Burkhardt im Vermerk vom 21. November 2011 auf Basis der damaligen Ermittlungsergebnisse eine Hypothese auf, die Kriminaldirektor Menzels unmittelbare und ausschließliche Annahme suizidaler Handlungen ohne Beteiligung Dritter vom 4. November 2011 untermauert.3) Obwohl ausdrücklich im Konjunktiv gehalten, wird dieser Hergang fast unverändert so auch öffentlich kommuniziert. Alternative Erklärungsansätze sind zumindest im Umfeld der bekanntgewordenen Ermittlungen nicht ernsthaft weiterverfolgt worden.
Das ist bemerkenswert, unter anderem deshalb, weil der Konjunktiv „könnte“ im BKA-Vermerk durch Fettstellung und Unterstreichung doppelt hervorgehoben ist und weil beispielsweise die beiden Polizisten Seeland und Mayer Schüsse aus dem Wohnbereichsfenster in Richtung Häuserfront dementierten.
Anhand der Spurensitutation im Inneren des Wohnmobils, der Umstände ausserhalb des Wohnmobils und der Zeugenaussagen könnte es sich im Wohnmobil wie folgt zu getragen haben.
Hypothese:
* Die Täter registrieren innerhalb des Wohnmobils, dass sich Polizeibeamte vor dem Wohnmobil befinden. […]
* BÖHNHARDT eröffnet durch das Fenster des Wohnmobils mit der Maschinenpistole das Feuer auf die Beamten. Das Projektil verfehlt die Beamten und geht zwischen dem Papiercontainer und dem abgeparkten KFZ in die Wand (siehe lila-gestrichelte Linie im Schaubild). + Schuss 1, 9mm Hülse […]
* Die Waffe des BÖHNHARDT erleidet nach einem Schuss einen Defekt (Patronenklemmer) und wird von ihm auf die Bank unter dem Fenster gelegt. + Auffindeort Maschinenpistole, Zustand Maschinenpistole, Auffindesituation Leiche BOHNHARDT
* BÖHNHARDT kommt durch einen Schuss der Winchester Pumpgun in die linke Schläfe zu Tode. + Obduktionsergebnis Böhnhardt, Schuss 2, erste Brennecke-Hülse
Vermutlich wurde der Schuss durch MUNDLOS abgefeuert
noch keine Nachweise hierfür verfügbar, jedoch aufgrund der Umstände (schnelle
Schussfolge zwischen erstem und zweiten Schuss, die je mit verschiedenen Waffen durchgeführt wurden) ist es wahrscheinlicher als eine Selbsttötung mit der Pumpgun (umständlich sich mit einer langläufigen Waffe in die Schläfe zu schießen).
* MUNDLOS entfacht mit Papier ein Feuer im Wohnwagen. + BOHNHARDT war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben (Kein Rauch in der Lunge). Der Brandgutachter geht durch eine Entzündung mit Papier in der Mitte des Wohnwagens aus.
MUNDLOS setzt sich im hinteren Teil des Wohnmobils auf den Boden, stellt die Pumpgun auf den Boden, steckt sich die Waffe in den Mund und tötet sich selbst.
Obduktionsergebnis MUNDLOS, Zeugenaussage bzgl. wegfliegender Deckenverkleidung im hinteren Teil des Wohnmobils, zweite Brennecke-Hülse, Auswurf der Hülse aus der Pumpgun nur möglich durch einen Schuss von unten nach oben
Wir konzentrieren uns auf die Aussagen zur Abfolge der Schüsse, des erweiterten Suizidgeschehens und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zur Ballistik und räumlichen Situation im Wohnmobil. Die Schussdefekte im Fahrzeugdach werden einbezogen. Alle sonstigen Widersprüche bleiben im Wesentlichen unberücksichtigt.
Die beiden Leichen im Wohnmobil wurden anhand von Fingerabdrücken und DNA-Vergleich als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt identifiziert. An der Zuverlässigkeit dieser Identifizierung bestehen nach Auffassung des Verfassers zwar weiter begründete Zweifel. Die Namen Böhnhardt (Asservatkomplex 1.1) und Mundlos (Asservatkomplex 1.2) werden dennoch aus Gründen der leichteren Zuordnung der Ermittlungsergebnisse verwendet.
Der Jenaer Rechtsmediziner Dr. Reinhard Heiderstädt beschreibt im Münchner NSU-Prozess Böhnhardts Kopfverletzung so, dass der sogenannte Krönleinschuss die Hirnmasse fast vollständig aus dem Schädel herausgeschleudert habe. Im Schädel seien lediglich noch etwa einhundert Gramm Gehirn verblieben (Anm. Die Gesamtmasse eines männlichen Gehirns hat ein Gewicht von etwa 1.400 g). Böhnhardt sei sofort handlungsunfähig gewesen. Bei Mundlos habe es eine große Aufreißung der hinteren Kopfoberseite gegeben. Auch hier sei das Gehirn bis auf fünfhundert Gramm Resthirn aus dem Kopf herausgeschleudert worden.4)
2. Auffindesituation Wohnmobil
Die als Uwe Böhnhardt identifizierte Leiche befand sich im mittleren Teil des Wohnbereiches, Uwe Mundlos im hinteren Teil. Beide Personen wurden nach Angaben der Ermittler durch je einen Kopfschuss mit einem Brenneke Flintenlaufgeschoss aus einer Pumpgun Winchester Defender 1.300 getötet.
Beide Schüsse soll Uwe Mundlos abgegeben haben; auf Uwe Böhnhardt durch Nahschuss in die linke Schläfe mit einem Austritt des Geschosses im Bereich der rechten Schläfe bzw. oberhalb des rechten Ohres. Angenommen werden kann deshalb ein Schusswinkel von ca. 5° bis 10°. Dem Kopfschuss auf Böhnhardt wird der Schussdefekt im vorderen Wohnmobildach zugeordnet (BT 2).
Abb. 03: Schussdefekte im Wohnmobildach, im Aktenkonvolut vorn als BT02, hinten BT01 bezeichnet
Bei der anschließenden Selbsttötung soll Mundlos den Schuss von vorn in den Mund mit Geschossaustritt im hinteren Schädelbereich ausgelöst haben. Hier darf ein Schusswinkel von etwa 45° angenommen werden. Ein wesentlich steilerer oder flacherer Schusswinkel würde eine unnatürliche Zwangshaltung von Waffe, Kopf und Körper erfordern, für die situativ keine Notwendigkeit bestand.
Der Arbeitskreis NSU hat herausgearbeitet,5) dass die öffentlich gewordenen Fotodokumente Abweichungen der Auffindesituation zeigen insbesondere bei der Lage der als Uwe Böhnhardt identifizierten Leiche. Der Kopf des Opfers im Vordergrund schließt in Abb. 4 mit der Rücklehne der Sitzbank ab. In Abb. 5 ist die Lage des Kopfes in Richtung Fahrerkabine versetzt und schließt etwa in der Mitte der Sitzbanktiefe ab.
Abb. 04: Aufnahme mutmaßlich in Stregda; Abb. 05: Aufnahme mutmaßlich nach Abtransport des Wohnmobils; (zum Vergrößern anklicken)
Es ist anhand der Lichtverhältnisse und der durchs Seitenfenster erkennbaren Umgebung überzeugend dargestellt worden, dass einige Aufnahmen am Auffindeort in Eisenach-Stregda entstanden, andere mutmaßlich in der Fahrzeughalle der Abschleppfirma, in die das Wohnmobil am 4. November 2011 verbracht wurde.
Widersprüchliche Zeugenaussagen (Feuerwehr, Polizei) in Bezug auf sichtbare Verletzungen und Körperpositionen bleiben hier unberücksichtigt. In Abb. 4 ist die Lage Böhnhardts wegen herabgefallenen Deckenmaterials nicht erkennbar. Abb. 5 zeigt eine vermutlich später entstandene Aufnahme. Die Dachverkleidung ist offenbar entfernt worden, Böhnhardt liegt auf der linken Bauchseite. Links neben Böhnhardts Kopf, also auf der Seite der Geschosseintrittswunde, ist deutlich Gehirnmasse zu erkennen. Die Austrittswunde, aus der das Gehirn herausgeschleudert wurde, befindet rechts (hier in Richtung Sitzgruppe). Ein schweres Problem, wie wir sehen werden.
Um das zu verdeutlichen, wurde die Lage der Leichen schematisch in einen Grundriss gezeichnet und in eine Seitenansicht übertragen (Abb. 6). Gleiches gilt für die Position der Geschossaustrittslöcher im Wohnmobildach. Die Körpergrößen von Mundlos und Böhnhardt wurden als gerundete Werte berücksichtigt (Asservatekomplex 1.2, UM ca. 180 cm, Asservatekomplex 1.1, UB ca. 185 cm). Für alle grafischen Darstellungen gilt, dass Größenverhältnisse der Zweckmäßigkeit der Darstellung entsprechend beachtet wurden.
Abb. 06: oben: Lage der Leichen in Aufsicht und Lage der Leichen (Asservatkomplexe 1.1 – Böhnhardt, 2.1 – Mundlos); unten: seitliche Darstellung (Beifahrerseite); Angabe der Schussaustritte im Dach
Es herrscht teilweise Unklarheit darüber, ob Uwe Mundlos eine überwiegend sitzende oder liegende Haltung im hinteren Teil des Wohnbereiches einnimmt. Das rechte Knie von Mundlos schließt etwa in der Mitte der Kühlschrankverkleidung ab. Der Abstand bis zum rückwärtigen Bett beträgt etwa 110 cm ohne die Unterschenkellänge. Der Kopf der Leiche schließt in der Höhe mit der leicht erkennbaren Bettrahmenfront ab, das sind ca. 40 cm. Diese beiden Maße belegen eine liegende Haltung der Leiche. Der Eindruck einer „sitzenden“ Position entsteht durch Aufnahmewinkel und perspektivische Verkürzung.
Soweit die Ausgangssituation.
3. Mögliche Positionen und Körperhaltungen von B. und M. in Verbindung mit Schusskanälen, Geschossflugbahnen, Schussdefekten im Dach und Lage der aufgefunden Leichen
Wir untersuchen zunächst die Schussabgabe auf Uwe Böhnhardt. Laut BKA-Hypothese hielt sich U.B. an der Sitzgruppe auf mit Blickrichtung zur gegenüberliegenden Straßenseite. Dort sind nach eigenen Angaben auch die Polizisten in Deckung gegangen. Dem Schuss auf Böhnhardt durch Mundlos wird der Schussaustritt BT02 im vorderen Dachaufbau zugeordnet. Eine andere Zuordnung ist vor allem wegen der Lage des toten Mundlos nicht plausibel darstellbar.
Der letale Schuss erfolgte nach Hypothese aus einem Vorderschaftsrepetiergewehr Pumpgun Winchester 1300 Defender Kaliber 12. Verwendet wurden ausweislich BKA-Akten Brenneke Flintenlaufgeschosse mit einer Länge von 62 mm. Ein Schusswinkel von ca. 5° bis 10° ergibt sich aus Eintritts- und Austrittswunde in Böhnhardts Schädel. Eine möglicherweise geringfügige Ablenkung des Geschosses innerhalb des Schusskanals ist nicht einbezogen.
Wir nehmen zunächst der Hypothese folgend eine geduckte Haltung Böhnhardts an, der aus dem Seitenfenster (Fahrerseite) auf die Polizisten geschossen haben soll oder dies versuchte. Neben der Geschossflugbahn wird die mögliche Fallrichtung Böhnhardts gezeigt. Böhnhardt befand sich selbst bei geduckter Haltung in relativ instabiler Position. Der Schussaufprall des Flintenlaufgeschosses hätte aufgrund hoher kinetischer Energie mit Wahrscheinlichkeit ein Abkippen in Richtung Fahrerzelle bewirkt.
Abb.07: Geschossflugbahn bei kauernder Körperhaltung Böhnhardts und ungefähre Position des Dachdefektes; angenommene Sturzrichtung Böhnhardts
Zwei gravierende Widersprüche zur BKA-Hypothese werden erkennbar: Bei einer hockenden bzw. kauernden Körperhaltung Böhnhardts ist wegen des Schusskanalwinkels zwischen Eintritts- und Austrittswunde der Schussdefekt im vorderen Wohnmobildachaufbau nicht darstellbar. Die zu erwartende Sturzrichtung aufgrund der Geschossaufprallwucht entspricht nicht der Auffindsituation, die eine Lage zeigt, bei der Böhnhardt in Richtung des Schützen Mundlos gefallen ist. Im Falle eines Sturzes in Richtung Mundlos hätten die engen räumlichen Verhältnisse die anschließende Brandlegung an der Sitzgruppe erheblich erschwert.
Alternativ ist zu untersuchen, ob eine andere Körperhaltung Böhnhardts das Problem des Schussaustritts im Dachbereich lösen kann. Die nächste Abbildung zeigt sowohl Böhnhardt als auch den Schützen Mundlos in stehender Position.
Abb. 08: Geschossflugbahn bei stehender Körperhaltung Böhnhardts und ungefähre Position des Dachdefektes; angenommene Sturzrichtung Böhnhardts
Beide bereits beschriebenen Widersprüche zur BKA-Hypothese treten erneut auf: Auch bei stehender Körperhaltung Böhnhardts wird wegen des Schusskanalwinkels zwischen Eintritts- und Austrittswunde der Schussdefekt im vorderen Wohnmobildachaufbau verfehlt. Auch bei diesem Szenario ist davon auszugehen, dass der mutmaßlich überraschte Böhnhardt der Wucht des Geschossaufpralls keine entgegengesetzte Bewegungen ausführt und deshalb in Schussrichtung fällt. Eine andere Kipprichtung ist nicht zuletzt unwahrscheinlich, weil im beengten Gang des Wohnbereiches die Leiche Böhnhardts den Zugang zur Brandlegung stark erschwert hätte. Nach Darstellung der Polizisten war der gesamte von außen beschriebene Ablauf bis zur Rauchentwicklung zeitlich dicht gedrängt.
Bei der anschließenden Selbsttötung von Mundlos geht die BKA-Hypothese davon aus, dass sich Mundlos, nachdem er den Brand legte, in den hinteren Bereich setzte und die Waffe von unten nach oben gerichetet in den Mund schoss. Eine natürliche Körperhaltung würde auf einen Schusswinkel von etwa 45° als plausibel erscheinen lassen.
Abb. 09: Geschossflugbahn bei sitzender Körperhaltung von Mundlos und ungefähre Position des Schussdefektes im Dach; mit Sturzrichtung
Die mögliche Sitzposition von Mundlos im hinteren Wohnbereich wird nach vorn durch die Lage der Leiche Böhnhardts, nach hinten durch das hochgeklappte untere Bett begrenzt. Um die Geschossflugbahn mit Schussdefekt BT01 sowie die Endposition der Leiche nach Möglichkeit in Einklang zu bringen, wurde die Sitzposition beim Suizid so weit wie möglich an die Leiche Böhnhardts verlagert. Dennoch gibt es eine erhebliche Abweichung zwischen erwartetem Schussaustritt im Dachbereich und dem tatsächlichen Schussdefekt.
Nehmen wir ein hochgeklapptes Bett mit textiler bzw. kunststoffgefüllter Matratze und einem Lattenrost aus Holz an, erscheint ein Ab- bzw. Rückpraller unwahrscheinlich.6) Eine signifikante Ablenkung des Geschosses innerhalb des kurzen Schusskanals im Schädel zwischen Eintritt und Austritt ist in Bezug auf die Austrittswunde im hinteren Schädel unwahrscheinlich.
Das erwartete Spurenbild wird weiter unten besprochen. Es ist in der folgenden Darstellung alternativ zur BKA-Hypothese zu untersuchen, ob eine stehende Schussposition zumindest den Schussaustritt im Dach erklären kann.
Abb. 10: Geschossflugbahn bei stehender Körperhaltung von Mundlos und ungefähre Position des Dachdefektes; mit Sturzrichtung
Hier ergibt sich theoretisch eine mögliche Übereinstimmung zwischen Geschossflugbahn und Position des Schussdefektes im Wohnmobildach. Allerdings ließe der abschließende suizidale Akt eher eine „kontemplative“ und zurückgezogene Position, etwa der Sitzhaltung erwarten, statt angespannten Stehens mit Blickrichtung auf die Leiche Böhnhardts.
Eine Notwendigkeit, die Selbsttötung ohne Rücksicht auf den Umständen entsprechende selbstgewählte Bedingungen eines endgültigen Abschieds schnellstmöglich durchzuführen, bestand nicht.
4. Lage der Gehirnzellmasse, Auffindesituation der Leichen und Spurenbilder (Blutanhaftungen)
Wir legen weiter die BKA-Hypothese zum Geschehen im Wohnmobil trotz der gezeigten erheblichen Widersprüche bei Geschossflugbahnen, Schussdefekten im Dach sowie Position und Lage der Leichen zugrunde. Es ist zu klären, ob und wie die Kopfschussverletzungen (Krönleinschüsse) mit der Lage der Gehirnmasse(n) in Einklang zu bringen sind.
Abb. 11: Deutlich erkennbar drückt der rechte Oberschenkel von Mundlos gegen die Kühlschrankfront. Ein Verrutschen der Gehirnzellmasse wird blockiert.
Abb. 12: In Richtung Fahrerkabine verhindern die Leiche Böhnhardts sowie Deckenverkleidung ein Verrutschen der Gehirnmasse
Charakteristisch für die Lage der Gehirnzellmasse ist, dass sie durch beide Leichen, herabgefallenes Dachmaterial und die seitliche Begrenzung durch Küchenzeile und Sitzbank fixiert wird. Ein Verrutschen der herausgeschleuderten Gehirnteile über größere Distanz durch Löscharbeiten der Feuerwehr ist nicht plausibel. Die Ebene der Wohnbereichsgrundfläche im Wohnmobil ist zur Fahrerseite hin abschüssig, eine Veränderung der Lage hätte also eher in Richtung Fahrerkabine erfolgen müssen. Das würde besonders im Fall Böhnhardt die BKA-Hypothese noch mehr schwächen.
Abb. 13: Bewegungsrichtung der herausgeschleuderten Gehirnmasse bei Böhnhardt mit Schussrichtung nach vorn
Der Schuss wurde Böhnhardt in die linke Schläfenseite beigebracht, die Schussaustrittsverletzung befindet sich auf der rechten Kopfseite. Die Grafik macht deutlich: Der Blut- und Zellgewebeaustritt auf der rechten Kopfseite Böhnhardts hätte bei Blickrichtung Böhnhardts zur gegenüberliegenden Hausseite mit signifikanten Blut- und Gewebespuren in Richtung Fahrerkabine erfolgen müssen. Die mutmaßliche genaue Endposition der Gehirnmasse ist dafür unerheblich.
Abb. 14: Bluttypische Anhaftungen am Zugang zum vorderen Wohnbereich auf der Beifahrerseite
Außer wenigen Blutanhaftungen an Türinnenseite und Fahrzeugkabinenrückseite ist jedoch kein nennenswertes, eventuell konzentrisch verlaufendes Spurenbild dokumentiert, das dem Auftreffen herausgeschleuderten Blutes und Gehirnteile nachvollziehbar entspricht (etwa am Beifahrersitz). Es ergibt sich außerdem keine plausible Möglichkeit, dass Schussverletzung und Lage der Gehirnmasse in Auffindessituation in Einklang zu bringen sind.
Ähnlich widersprüchlich stellt sich das Spurenbild bei Uwe Mundlos dar. Dabei ist zu vernachlässigen, ob man von einer sitzenden oder stehenden Schussposition ausgeht.
Abb. 15: Bewegungsrichtung der herausgeschleuderten Gehirnmasse bei Mundlos mit Schussrichtung nach hinten-oben, mögliche Endposition der Gehirnteile im Vergleich zur Auffindeposition
Mundlos musste zwingend den eigenen suizdalen tödlichen Schuss in Richtung Fahrzeugheck abgeben, so dass das herausgeschleuderte Gehirn ebenfalls in Richtung Fahrzeugende bewegt wurde. Gehirnmasse, die beim Austritt in größeren Teilen erhalten blieb, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit durch den nach hinten kippenden Mundlos bedeckt oder bei späterem Herabfallen des Gehirngewebes aufgefangen wurden. Die Leiche Mundlos hätte durch ihre Lage ein Verrutschen der Hirnmassen zusätzlich blockiert.
Ein plausibles Szenario wird hier wie bei Böhnhardt durch das fehlende Spurenbild signifikanter Blut- und Zellgewebeanhaftungen im Bereich unterhalb des Schussdefektes im hinteren Dach bzw. auf der textilen Bettverkleidung erschwert. Die Fotodokumente weisen außer einigen zufällig wirkenden Blutspritzern im unteren Türbereich der Nasszelle keine der Schwere der Schussverletzung entsprechende Verteilung von Blut- und Gewebeteilen aus. Bei Mundlos wären aufgrund des Kontaktes mit dem hochgeklappten Bett insbesondere Rutschspuren durch Heruntergleiten des tödlich Verletzten in die Endposition zu erwarten.
Abb. 16 und 17: Links: Auffindesituation der Leiche Mundlos, hervorgehoben wenige bluttypische Anhaftungen im unteren Bereich der Badtürinnenseite; rechts: Bereich, für den die Verteilung von Blut- und Gewebespuren im Einklang mit der Schuss- und Fallrichtung Mundlos wahrscheinlich wäre
5. Fazit
Die Lage der Gehirnmassen sowie die Position der Leichen und Schussdefekte im Wohnmobildach ist für beide aufgefundenen Leichen nicht mit der Tathergangshypothese des BKA in Übereinstimmung zu bringen. Es ergibt sich ausgehend von den Schussein- und -austrittsverletzungen derzeit kein Szenario, das Auffindesituation der Leichen, der Gehirnmassen und der Schussdefekte im Dach plausibel erklärt. Lediglich für Uwe Mundlos ist bei hypothetischer Annahme eines Suizides in stehender Position der Schussaustritt im hinteren Bereich des Wohnmobildaches nachvollziehbar.
Es konnte gezeigt werden, dass die vom BKA aufgestellte Hypothese mehrere schwerwiegende Widersprüche der Auffindesituation nicht auflösen kann. Dazu gehören Probleme der Geschossflugbahnen, die Lage der Gehirnmasse in Abhängigkeit der Schussverletzungen oder die Lage der Leiche Böhnhardts.
Die BKA-Hypothese ist damit in wesentlichen Teilen nicht haltbar und muss durch neue Erklärungsansätze ersetzt werden. Der Ablauf des Geschehens im Wohnmobil am 4. November 2011 bleibt weiter ungeklärt. Er ist jedoch von zentraler Bedeutung für die Aufklärung des gesamten NSU-Komplexes u.a. in Bezug auf Todesumstände der aufgefundenen Leichen, der Klärung behördenseitigen Vorwissens und mutmaßlicher Tatortveränderung.
Fußnoten und Anmerkungen
2) Band 4.1, Ordner 1, Allgemeines, Aktenvermerk BKA, nicht paginiert, PDF-Dokument S. 20
3) eda., siehe Einsatzverlaufsbericht Lotz, S. 3 von 5, PDF-Dokument S. 25
4) https://www.nsu-watch.info/2014/06/protokoll-114-verhandlungstag-21-mai-2014/
6) vgl. Rückpralluntersuchung von Baumstämmen und Mauern bei Flintenlaufgeschossen, Pkt. 8.2 bes. 45°, und Ergebnisse 8.3.1 und 8.3.2
Das verwendet Fotomaterial stammt aus den öffentlich zugänglichen Aktenteilen.